Entrümpeln war gestern – Shoppen ist heute!


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    Mit einem grossen Andrang läuteten Konsumenten den ersten Tag nach dem Ende des zweiten Laden-Lockdowns anfangs März ein. Lange Schlangen bildeten sich vor den Ikea-Stores, dem Shoppi Tivoli in Spreitenbach und vor dem H&M an der Zürcher Bahnhofstrasse. Auch die Pandemie kann daran nichts ändern – bei vielen ist das Shopping-Fieber ausgebrochen. Dies ganz nach dem Motto «Entrümpeln, das war in der ersten Welle. Jetzt shoppen wir». Ich, die ohne Einschränkungen durchgearbeitet und vor Ort die Stellung gehalten habe, bekomme nach dem Lockdown jeweils einen Schub von Klaustrophobie. Nur mit Mühe gewöhne ich mich wieder daran, dass die Einkaufsmeilen und Strassen nicht leergefegt sind. Momentan hat es überall Menschen. Da wird gestöbert, begutachtet, probiert, entdeckt, gerempelt, gestresst etc. Das kollektive «Packen wir`s an!» und Entrümpeln im letzten Frühling ist schon lange vorbei. Kleider und Schränke sind ausgeräumt und der getaktete, überfrachtete Alltag ist längst entschleunigt. Die Pause aus der Überflussgesellschaft scheint vorbei zu sein. «Es geht auch ohne Konsum» – das war gestern!

    Viele sitzen in ihren aufgeräumten Wohnungen und schauen in ihre ordentlichen Schränke, aber das Hygge-Gefühl will sich trotzdem nicht einstellen. Stattdessen diese leichte innere Unruhe. Dieses Gefühl, auf die Piste zu müssen, etwas da draussen verpassen zu können. Dabei helfen auch die entschleunigenden «Ich-mach-was-mit-den-Händen»-Dinge nicht mehr. Jetzt steht vielen, der «in den vier Wänden Eingeschlossenen» – ich gehöre nicht dazu – der Sinn nach oberflächlicher Zerstreuung. Und sei es ziellos durch Geschäfte und Shoppingmeilen zu schlendern, Dinge anzuschauen, die man sich nicht leisten kann, respektive auf Pump kauft. Also her mit dem Designerhocker und der überteuerten Porzellanvase, und eine schicke, neue Hose für die Zeit nach dem Homeoffice ist jetzt unabdingbar. Man schämt sich erst ein wenig – hält man es wirklich ohne Konsum nicht aus? – und stellt dann fest: Anderen geht es ähnlich. Fragt man im Bekanntenkreis nach, berichten viele von einer grossen, unbändigen Lust zu shoppen, und zwar nicht in erster Linie die praktischen, nützlichen Dinge – vom Grossverteiler haben wir die Nase voll –, sondern: Schönes, Luxuriöses. Nach den langen zwangsberuhigten Monaten dürsten viele nach ein wenig Exzess, notfalls auch via virtuellen Einkaufskorb. Psychologen liefern dazu plausible Erklärungen für das gesteigerte Kundenbedürfnis während der Krise: Kaufen sei ein Versuch, die Kontrolle zurückzugewinnen. Der Bestellbutton als tröstender Beweis, dass es auf dieser Welt noch Dinge gibt, die so funktionieren wie wir uns das vorstellen. Ebenso ist der Kaufrausch ein Akt des Optimismus – wer sich jetzt mit elegantem Schuh eindeckt, glaubt daran, dass es bald wieder Gelegenheit gibt, sich feinzumachen.

    Wir wollen also kaufen. Ist das schlimm? Nein. Die Wirtschaft ankurbeln und den gebeutelten Detaillisten unter die Arme greifen, ist wohl das Beste, was wir tun können. Dabei gilt es auch nachsichtig mit uns selbst zu sein. Dieser Frühling ist auch für mich – obwohl ich als Ordnungsfanatikerin nicht meine Wohnung auf den Kopf gestellt habe, weil es schlichtweg nichts aufzuräumen gab – anders. Er symbolisiert das Licht eines langen, dunklen Tunnels. Und so liebäugle ich damit, meine vorwiegend schwarz, grau und dunkel gehaltene Garderobe mit neuen, knalligen Farben aufzupeppen. Corona zu verdanken sind auch die vielen Grünpflanzen und Sukkulenten, die meine Fensterbank zieren. Der Gang ins Blumengeschäft war für mich aber viel mehr, als mir bloss eine grüne Oase in der Stube einzurichten. Sozialer Kontakt und Psychohygiene standen dabei im Vordergrund. Denn allein schon der Austausch und das Plaudern mit der Floristin ist ein Höhepunkt im Corona-Alltag eines Singles. Unter demselben Kapitel abgebucht werden können auch die zahlreichen Tulpensträusse, die ich mir gleich bundweise wöchentlich in die Stube hole. Corona macht ja verheerend dumpf. Man lebt so dahin, nimmt überhaupt alles mit viel Gelassenheit so hin. Die Tage fliessen ineinander zu einem einzigen, klebrigen, unübersichtlichen, sich ständig wiederholenden Corona-Teppich. Aber dann der Farbtupfer: Tulpen und Primeln – bunt, fröhlich, keck und hoffnungsvoll. Eben Frühling – Hoffnung, Optimismus. Die mildern Temperaturen, die ersten Sonnenstrahlen auf der Haut sind das Pünktchen auf dem i für mich – Corona hin oder her.

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

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